„Drei Wochen Island? Ist das nicht zu lange?“ fragte Anita verdutzt als wir die Reiseplanung angingen. Karge Mondlandschaften, unendliche Asche-, Lava- und Geröllfelder. Triste Einöde wohin der Blick reicht und kaum Vegetation. So hatte sie sich Island vorgestellt und dementsprechend keine wahnsinnig großen Erwartungen an das Land. Doch irgendetwas musste ja an der Begeisterung aller Touristen dran sein. Außerdem versprach eine Umrundung der Insel in drei Wochen genügend Zeit zum Wandern, spontane Umwege auf kleinen Nebenstraßen und der Luxus länger an einem Ort verweilen zu können.
Bereits am zweiten Tag unseres Roadtrips war es um uns geschehen. Wir verliebten uns Hals über Kopf. Verdammt, dieses Island kann was! Es kann viel, sehr viel! Selbst unser heißgeliebtes Neuseeland verlor in puncto Geothermalgebiete, Vulkane, Gletscher, Wasserfälle und mystische Landschaften einiges von seinen WOW-Effekten. Island ist unglaublich schön, magisch, faszinierend und macht schnell süchtig.
Auf unserem Roadtrip durch Island haben wir überwiegend positive Erfahrungen gemacht. Aber auch wenn wir völlig hin und weg von der atemberaubenden Natur in diesem fantastischen Land sind, so haben wir auch einige nicht so schöne Dinge erlebt oder gesehen. Es waren meist kleine und alltägliche Sachen, die jedoch nur selten ihren Weg auf Bilder oder in Berichte finden.
Wir sind der Meinung, dass auch solche Punkte angesprochen werden sollten – denn wir möchten auf unserem Blog nicht nur über das Schöne berichten, nicht nur über das was jeder sehen und hören will. Sondern auch über die weniger schönen Dinge.
Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten
Du kennst das bestimmt: voller Vorfreude auf den imposanten vor dir liegenden Wasserfall steigst du mit deiner Kamera bewaffnet aus dem Auto. Doch in diesem Moment biegt ein Ungetüm von Reisebus auf den Parkplatz ein und du weißt, dass es mit der Ruhe gleich vorbei ist und es ab jetzt schnell-schnell gehen muss, damit das Bild für die perfekte Erinnerung auch ein solches wird.
Nach dem Bankencrash 2008 war der aufstrebende Tourismus ein Segen für Island. Seither besuchen immer mehr Menschen das Land. Für das Jahr 2017 prognostiziert die Islandbank rund 2,3 Mio. Besucher. Das sind 30 Prozent mehr Besucher als noch 2016. Im Sommer ist sogar jeder Fünfte in Island ein Tourist.
Leider haben die Behörden in Island den wachsenden Touristenzahlen zu lange untätig zugesehen und somit kam es wie es kommen musste: die Natur leidet, die Straßen halten die Mengen an Fahrzeugen nicht aus, es gibt vor allem im August keinen Platz mehr, an dem man alleine sein kann, auf der Ringstraße herrschen teilweise Zustände wie auf der A7.
Und damit nicht genug, nimmt die Toleranz der Isländer gegenüber Touristen, besonders in den beliebten und stark besuchten Gegenden im Süden, ab. Die Einheimischen beklagen sich über „unverschämte“ Touristen, die ihre Notdurft in der Natur oder sogar in der Nähe von Privatgrundstücken erledigen, Vandalismus, steigende Preise sowie die Einführung von Eintrittsgeldern für Nationalparks.
Geteerte Straßen vs. Schotterpisten
Die zunehmenden Besucherströme führen dazu, dass die Straßen mehr und mehr asphaltiert und ausgebaut werden. Dies hat den Vorteil, bequemer und schneller vorwärts zu kommen. Der entscheidende Nachteil: immer mehr Besucher gelangen kinderleicht an Orte, die heute noch mit Ruhe und Einsamkeit trumpfen. Wenn irgendwann eine asphaltierte Straße ins Hochland nach Landmannalaugar führt, werden Unmengen an Bussen massenhaft Besucher in dieses noch weitgehend unberührte Paradies bringen. Natürlich hat jeder Tourist das Recht, jeden Ort besuchen zu dürfen. Aber verkraftet das auch die Natur? Zudem geht durch die Asphaltierung ein Stück weit das Ursprüngliche Islands verloren, das Abenteuer, das Entdecken und das Erleben. Dann ist es mit dem Offroad-Feeling endgültig vorbei.
On the (Ring) Road
Ein weiterer Nachteil der gut ausgebauten Straßen ist die damit einhergehende gehetzte Fahrweise vieler Touristen. Auf der Ringstraße wird oft gedrängelt, waghalsig überholt und deutlich zu schnell gefahren. Es wird kurz am Wasserfall angehalten, ein halbwegs gutes Foto hingepfuscht, noch schnell an einen Felsen gepinkelt und weiter geht’s. Die meisten Besucher umrunden Island in straffen 8 Tagen und dementsprechend wird auch über die Straßen gehetzt.
Überlaufene Sehenswürdigkeiten
Noch vor wenigen Jahren war es sehr schwierig, das Flugzeugwrack der DC-3 zu besuchen, weil es schlicht kaum möglich war, von der Ringstraße aus den Weg dorthin überhaupt zu finden. Heute protzt unübersehbar ein riesiger Parkplatz an der Stelle, hunderte Menschen laufen täglich die öden 8 km zum Wrack und zurück. Das Motiv ist großartig, keine Frage, aber ein Foto ohne auf dem Wrack herumkletternden Leuten zu knipsen, ist eine echte Geduldsprobe. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis dieses nur noch ein kleines Häufchen Metall im Sand ist. Auf dem Rückweg zum Parkplatz wurden wir mehrfach von entgegenkommenden Besuchern gefragt, was es da hinten eigentlich zu sehen gibt – sie hätten nur angehalten, weil der Parkplatz so voll sei.
Beim Besuch am Gletscher Sólheimajökull waren wir schwer enttäuscht: unzählige Tourguides führten Massen an Besuchern den Gletscher hinauf. Dieser war weder schwarz noch weiß, sondern kunterbunt von all den leuchtenden Jacken und Hosen der Besucher.
Für einige Sehenswürdigkeiten werden mittlerweile – entgegen dem isländischen Grundverständnis, dass die Natur für jedermann da ist – Eintrittsgelder verlangt (Krater Kerið). Auf vielen Parkplätzen im Süden stehen Parkautomaten, in die man seine Kreditkarte stecken muss, ohne dass irgendwo ersichtlich wäre, was der Spaß eigentlich kostet (Seljalandsfoss). Dass für den extra für Besucher angelegten Parkplatz eine Gebühr anfällt, ist ja noch nachvollziehbar. Aber vier Euro für einen Spaziergang auf einen (verhältnismäßig unspektakulären) Krater sind für uns jedoch unverständlich.
Camping und Wildzelten
Dass viele Besucher den respektvollen Umgang mit der Natur nicht wertschätzen, führte bekanntlich zum Wildcampingverbot. Erst vor wenigen Tagen hat Island erneut seine Camping-Regeln verschärft, sodass insbesondere im Süden nun Wildcampen verboten ist. Sehr schade – aber zu Recht, wenn die Natur darunter leiden muss. Da Zelten jedoch nach wie vor die günstigste Variante ist, Island zu bereisen, entstanden an jeder Ecke Zeltplätze. Diese sind mal mehr, mal weniger gut ausgebaut, meistens leider letzteres und hier entsteht das Gefühl der Abzocke. Die Preise rechtfertigen oftmals den Standard keineswegs und die Benutzung der Duschen kostet häufig noch extra. In einem Land, in dem Wasser und Strom keine Mangelware sind, eigentlich sehr schade. Norwegen, Schottland und Neuseeland zeigen hier wie es geht. Zu allem Überfluss gibt es auch nicht wenige rücksichtlose Zeltplatzbesucher, die unnötig laut sind, ihren Müll überall rumliegen lassen, die Gemeinschaftsräume verschmutzen und am Ende noch die Zeche prellen.
Toiletten und die Sache mit der Notdurft
Einen krassen Mangel an Toiletten konnten wir nicht feststellen. In unregelmäßigen Abständen stehen entlang der Straßen (manchmal auch an Sehenswürdigkeiten) kostenlose Dixis. Zudem sind kostenlose öffentliche Toiletten oft in Krónan-Supermärkten und Shopping Centern zu finden. Trotzdem liegen überall am Wegesrand, an Gewässern und in den Gebüschen Toilettenpapier. Die Probleme sind bekannt und liegen unter anderem auch darin begründet, dass vor allem an den Sehenswürdigkeiten in den touristischsten Gebieten zusätzlich zum Eintrittspreis noch Gebühren für die Benutzung der Toiletten erhoben werden. Des Weiteren fanden wir einige öffentliche Toiletten schlicht verschlossen oder einfach unbenutzbar vor. Oder es wurde eine Gebühr von 2 Euro für die Benutzung verlangt. So brauchen sich die Isländer nicht wundern, dass das Geschäft direkt in der Natur verrichtet wird.
Der Umgang mit der Natur
Die Isländer legen sehr viel Wert auf ihre Natur und tun alles um sie zu schützen. Leider handeln viele Touristen unüberlegt oder nur zu ihrem eigenen Vorteil. Dabei ist es wirklich nicht schwer, die wundervolle Natur Islands zu achten und sie nicht noch weiter zu beschädigen.
- Hinterlasse keinen Müll. Auch kein Toilettenpapier oder Schlimmeres. Wenn du mal dringend musst, benutze einen Plastikbeutel und wirf ihn in den nächsten Mülleimer. Keiner will beim Wandern über oder gar in deine Notdurft stolpern.
- Ignoriere keine Absperrungen, denn sie sind zum Schutz der Natur und für deine Sicherheit da. Wir haben leider sehr viele Menschen gesehen, die die Absperrungen ignorieren nur um das vermeintlich perfekte Bild zu schießen.
- Flechten und Moose benötigen viele Jahre, um nur einen Zentimeter zu wachsen, daher ist Berühren erlaubt aber Abreißen absolut tabu.
- Das Fahren abseits markierter Wege ist auch mit 4×4 verboten und wird empfindlich bestraft. Auch wenn du einen supergeilen Jeep gemietet hast – lass es! Der Natur zuliebe. Die unzähligen unbefestigten Straßen und Hochlandpisten sind Abenteuer genug.
Auch wir sind Touristen
Okay, vielleicht fragst du dich jetzt: „Warum dieser Beitrag?“ Schließlich sind wir auch nur Touristen.
Ja, du hast Recht. Auch wir sind zwei der 2,3 Mio. jährlichen Besucher und zu Gast in diesem Land. Auch wir tragen in Teilen zu der jetzigen Situation bei. Auch wir haben uns über eine einwandfrei geteerte Rindstraße gefreut. Aber wir haben uns ebenso über die holprigen und nach Abenteuer riechenden Pisten gefreut. Wir haben nur in erlaubten Gebieten wild gecampt und jederzeit die Natur respektiert, haben unseren Müll immer mitgenommen und keine Spuren hinterlassen.
Wir hoffen, dass wir mit diesem Bericht zum Nachdenken anregen können und du bei deinem Besuch in Island auch dazu beiträgst, die Natur zu schützen und zu erhalten. Sei ein Vorbild für die „schlechten“ Touristen, die so vieles kaputt machen!
Hast du ähnliche Erfahrungen auf deinen Reisen gemacht? Wir freuen uns über deinen Kommentar!
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